11. Ja­nu­ar 2021

Die Aus­wir­kung des Brexit auf die Ge­richts­stands­ver­ein­ba­rung in See­trans­port­be­din­gun­gen

In vie­len Trans­port­be­din­gun­gen der gro­ßen Ree­de­rei­en sind Ge­richts­stands- und Rechts­wahl­klau­seln zu­guns­ten der eng­li­schen Ge­rich­te und des eng­li­schen Rechts zu fin­den. Der eng­li­sche Rechts­be­reich wird ge­ra­de im in­ter­na­tio­na­len See­han­dels­recht nicht nur gern ge­nom­men, weil das See­han­dels­recht vom eng­li­schen Recht bzw. der eng­li­schen Recht­spre­chung ge­prägt ist, son­dern auch weil das eng­li­sche Recht ein gro­ßes Maß an Pri­vat­au­to­no­mie zu­lässt und stren­ge In­halts­kon­trol­len bei Stan­dard­ver­trä­gen nicht kennt, ins­be­son­de­re wenn der Sach­ver­halt sonst kei­ne Be­rüh­rungs­punk­te mit Eng­land oder Groß­bri­tan­ni­en auf­weist.

Die nun durch den Brexit ein­ge­tre­te­ne Si­tua­ti­on, die wir im Fol­gen­den kurz dar­stel­len wol­len, löst zum ei­nen Ver­wun­de­rung über die feh­len­de Si­che­rung des aus­schließ­li­chen Ge­richts­stands aus und bringt zum an­de­ren noch ein­mal Le­ben in das so­ge­nann­te „fo­rum shop­ping“.

Seit dem Aus­tritt von Groß­bri­tan­ni­en aus der Eu­ro­päi­schen Uni­on zum 31. De­zem­ber 2020 gilt die Ver­ord­nung Nr. 1215/2012 über die ge­richt­li­che Zu­stän­dig­keit und die An­er­ken­nung und Voll­stre­ckung von Ent­schei­dun­gen in Zi­vil- und Han­dels­sa­chen nicht mehr für Groß­bri­tan­ni­en. Das die­ser EU-Ver­ord­nung in­halt­lich gleich­lau­ten­de Über­ein­kom­men über die ge­richt­li­che Zu­stän­dig­keit und die An­er­ken­nung und Voll­stre­ckung von Ent­schei­dun­gen in Zi­vil- und Han­dels­sa­chen (kurz: Lu­ga­no Über­ein­kom­men) zwi­schen den EU-Mit­glied­staa­ten, der Schweiz, Nor­we­gen und Is­land gilt eben­falls (noch) nicht für Groß­bri­tan­ni­en.

So­wohl die EU-Ver­ord­nung als auch das Lu­ga­no Über­ein­kom­men se­hen vor, dass aus­schließ­li­che Ge­richts­stands­ver­ein­ba­run­gen zu­guns­ten ei­nes Staa­tes für den die EU-Ver­ord­nung bzw. das Lu­ga­no Über­ein­kom­men gilt, wirk­sam sind. Da Groß­bri­tan­ni­en aber nun­mehr we­der ein Mit­glied­staat der EU ist noch ein Ver­trags­staat des Lu­ga­no Über­ein­kom­mens sind die eng­li­schen Ge­rich­te da­nach nicht mehr aus­schließ­lich für Rechts­strei­tig­kei­ten zu­stän­dig.

Auch nach dem Haa­ger Über­ein­kom­men über Ge­richts­stands­ver­ein­ba­run­gen von 2005, des­sen Ver­trags­staa­ten so­wohl die Eu­ro­päi­sche Uni­on als auch Groß­bri­tan­ni­en sind, ent­fal­ten aus­schließ­li­che Ge­richts­stands­ver­ein­ba­run­gen in Trans­port­be­din­gun­gen kei­ne Wir­kung, da das Haa­ger Über­ein­kom­men nicht auf die Be­för­de­rung von Rei­sen­den und Gü­tern an­zu­wen­den ist.

Im Er­geb­nis kön­nen nun auch die Ge­rich­te auf­grund ei­nes all­ge­mei­nen oder be­son­de­ren Ge­richts­stands der EU-Ver­ord­nun­g/­des Lu­ga­no Über­ein­kom­mens an­ge­ru­fen wer­den.

Deut­sche Ge­richt könn­ten nun bei Rechts­strei­tig­kei­ten aus der Be­för­de­rung von Gü­tern und Rei­sen­den nach dem be­son­de­ren Ge­richts­stand am Er­fül­lungs­ort in­ter­na­tio­nal zu­stän­dig sein, wenn der La­de­ort oder der Be­stim­mungs­ort in Deutsch­land ist. In die­sem Fall könn­te ein deut­scher Ver­sen­der oder Emp­fän­ger al­so nun in Deutsch­land Kla­ge we­gen ei­nes La­dungs­scha­dens oder La­dungs­ver­lust ge­gen die Ree­de­rei als ver­trag­li­cher Ver­frach­ter er­he­ben.

Im Hin­blick auf ei­ne Streit­ver­kün­dung ge­gen die Ree­de­rei wür­de sich dann auch nicht mehr die Fra­ge stel­len, ob die Streit­ver­kün­dungs­wir­kung von ei­nem eng­li­schen Ge­richt an­er­kannt wird. Viel­mehr könn­te der Fol­ge­pro­zess zur Gel­tend­ma­chung des Rück­grif­f­an­spruchs eben­falls vor ei­nem deut­schen Ge­richt ge­führt wer­den.

Die Wirk­sam­keit der Rechts­wahl zu­guns­ten des eng­li­schen Rechts bleibt nach Art. 3 Abs. 1 der EU-Ver­ord­nung über das auf ver­trag­li­che Schuld­ver­hält­nis­se an­zu­wen­den­de Recht (Rom I) mit den dort vor­ge­se­he­nen Ein­schrän­kun­gen bei In­lands­sach­ver­hal­ten und Ein­griffs­nor­men er­hal­ten. Es muss da­her ins­be­son­de­re auch auf die Wah­rung kur­ze Aus­schluss- und Ver­jäh­rungs­fris­ten in den Trans­port­be­din­gun­gen ge­ach­tet wer­den, um zu­min­dest Frei­hal­tungs­an­sprü­che durch die Er­he­bung ei­ner Kla­ge zu si­chern. Ei­ne Streit­ver­kün­dung wird hier wohl wei­ter­hin kei­ne Hem­mungs­wir­kung ha­ben. Mög­li­cher­wei­se wird auch die Be­reit­schaft der Ree­de­rei­en zur Ver­län­ge­rung von Aus­schluss- und Ver­jäh­rungs­fris­ten stei­gen, um die Zeit bis zu ei­nem In­kraft­tre­ten des Lu­ga­no Über­ein­kom­mens für Groß­bri­tan­ni­en zu über­brü­cken.